Wenn junge Menschen einen Hörsturz erleiden
Der Grund für einen Hörsturz ist nicht selten Stress. Gerade junge Menschen leiden heute häufig an zu viel Druck – teilweise verursacht durch ihren Job, aber auch durch private Umstände. Doch fernab von der Theorie: Wie empfindet eine Betroffene einen Hörsturz? Was sind die Auswirkungen und was ändert sich danach? Im Interview erklärt Jessica Bräuniger, wie es ihr mit drei Hörstürzen erging.
Frage: Du hattest bereits in einem jungen Alter mehrere Hörstürze. Wann war das genau und wie viele Hörstürze waren es?
Antwort: Die Hörstürze waren alle drei im Jahr 2014. Der erste im Januar, der zweite im April und der dritte dann im Oktober.
F: Wenn du an deinen ersten Hörsturz zurückdenkst: Was hast du bemerkt? Was war anders? Wie hat es sich angefühlt?
A: Zuerst habe ich mich gewundert und dachte, dass mein Fernseher kaputt sei. Die Lautstärke war total gedämmt und ich habe kaum etwas gehört. Meine Mutter kam damals in mein Zimmer und fragte mich, warum ich den Fernseher so laut habe. Als ich dann beide Ohren verglich, bemerkte ich, dass ich auf einem Ohr gedämpfter höre als auf dem anderen.
F: Wann dachtest du, dass es etwas Schlimmeres sein könnte? Hast du daran überhaupt gedacht?
A: Als ich den Unterschied auf beiden Ohren bemerkt habe, hatte ich direkt Angst. Eine meiner engsten Arbeitskolleginnen hatte bereits einen Hörsturz und sie habe ich damals panisch angerufen. Sie schilderte mir ihre Symptome und sagte mir, ich sollte direkt am nächsten Tag zum Arzt gehen.
F: Was wurde dir dort gesagt? Musstest du stationär aufgenommen werden?
A: Zuerst wurde jeweils ein Hörtest gemacht und Blut abgenommen. Die Ärztin untersuchte dann die Ohren und klärte mich über das Thema Hörsturz auf. Sie riet mir damals, Entspannungsübungen zu machen. Außerdem habe ich immer Cortison in Tablettenform bekommen.
F: Kanntest du den Grund für deinen ersten Hörsturz?
A: Die Antwort ist simpel: ganz klar Stress.
F: Hast du nach dem Hörsturz Nachwirkungen gespürt?
A: Nach dem ersten Hörsturz hatte ich keinerlei Nachwirkungen. Nach dem dritten Hörsturz hatte ich dann aber einen Tinnitus.
F: Was hat sich danach für dich verändert? Hast du deinen Lebensstil umgestellt?
A: Ich habe damals von meiner Arbeitsstelle 70 Kilometer entfernt gewohnt und hatte eine einfache Fahrtstrecke von eineinhalb Stunden. Mein Tag begann um fünf Uhr morgens und endete um 18 Uhr. Nach der Arbeit habe ich mich fast jeden Tag mit Freunden getroffen oder hatte Termine. Das habe ich dann stark reduziert und den überwiegenden Teil meiner Verabredungen auf das Wochenende verlegt.
F: Du hast dich nach deinem ersten Hörsturz zu einem Kurs angemeldet. Welcher war das genau und warum hast du dich dazu entschieden?
A: Dieser Kurs war ein Entspannungskurs. Dort wurden Fantasiereisen, Progressive Muskelentspannung und Autogenes Training erlernt. Ich wollte dann endlich Entspannungsformen für mich erlernen und war begeistert von dem Kurs und was ich dort lernen durfte.
F: Wie kam es dann zum zweiten Hörsturz?
A: Gute Frage. Vermutlich wieder Stress. Ich musste mich selbst erst an die neue Situation gewöhnen und konnte noch nicht alles, was ich mir vorgenommen hatte, umsetzen.
F: War dir in diesem Moment bereits bewusst, dass es wieder ein Hörsturz sein könnte? Wie hast du reagiert?
A: Ja, das war mir definitiv bewusst. Ich bin direkt am nächsten Tag wieder zum Arzt gegangen.
F: Weißt du, warum es bei dir bereits in deinem jungen Alter zu drei Hörstürzen kam?
A: Ich denke, ich konnte oder kann manchmal nicht gut „Nein“ sagen und versuche zu viel auf einmal zu machen. Das ist ein ständiger Lernprozess. Mittlerweile kann ich das schon viel besser als vor sieben Jahren und ich muss auch nicht alles immer sofort erledigen.
F: Weißt du, wie du damit umgehen kannst? Was hat dir zu dieser Zeit geholfen?
A: Ich meditiere mittlerweile regelmäßig und nehme mir auch bewusst Auszeiten. Als Mama ist das noch viel wichtiger. Ich kann auch mittlerweile sehr gut bei Büchern abschalten. Früher habe ich lesen gehasst. Jetzt lese ich Bücher innerhalb von ein bis zwei Wochen. Wenn ich merke, dass ich gestresst bin, reflektiere ich meine Woche oder meinen Tag und überlege, wie und was ich jetzt anders machen kann. Stressige Situationen gibt es leider immer wieder im Leben.
F: Hast du Unterstützung von deinem Umfeld erhalten? Wie haben sie reagiert?
A: Meine Eltern und mein Partner haben mich jederzeit unterstützt und mir sehr viel in den ersten Monaten abgenommen und geschaut, dass ich zur Ruhe komme. Das hat mir geholfen.
F: Was nimmst du von den Erlebnissen mit? Würdest du sagen, dass du dadurch eine andere Sicht auf das Leben gewinnen konntest?
A: Ganz klar, ja. Ich habe in der Reha gelernt, einfach nur Dinge zu tun, die wichtig sind. Auch in der heutigen Zeit müssen wir nicht dauernd erreichbar sein und Glück kann man nicht kaufen. Heute ist mir nur meine Gesundheit wichtig und ein erfülltes Leben ohne materielle Dinge.
Aufgrund meines dritten Hörsturzes wurde mir eine Reha empfohlen. Hier war ich damals fünf Wochen – ohne Handy und mit Dingen, die ich gerne machte. In dieser Zeit habe ich viel über die Ohren und Entspannungsverfahren gelernt. Diese Zeit war sehr prägend und entscheidend für mich. Heute gibt es feste Zeiten ohne Handy.
F: Du bist aufgrund der Hörstürze Entspannungstherapeutin und Schlafcoach für Babys geworden. Was hat dich zu dieser Berufswahl bewegt?
A: Ich möchte gerne Menschen dabei helfen, ihre persönliche Entspannungsform zu finden. Jeder entspannt auf eine andere Art und es gibt so viele Möglichkeiten für Entspannung. Durch meinen Beruf als Entspannungspädagogin werde auch ich immer wieder daran erinnert und lerne ständig neue Dinge für mich. Auf die Ausbildung zum Schlafcoach für Babys und Kleinkinder bin ich durch meine Tochter gestoßen und finde dieses Thema auch wahnsinnig wichtig. Denn nichts ist schlimmer als zu wenig Schlaf. Auch das kann zu Stress führen.
F: Was würdest du anderen jungen Menschen sagen, die häufig unter Stress leiden? Woran könnten sie womöglich einen Hörsturz erkennen?
A: Nehmt den Druck raus und hört auf euer Herz. Was wollt ihr wirklich und was denkt ihr, müsst ihr machen? Durch die sozialen Medien werden wir total unter Druck gesetzt, alles zu können. Genießt die kleinen Momente im Leben und versucht nicht höher, schneller und weiter, sondern langsam und achtsam zu leben. Jeder ist in seinem Beruf meist nur eine Personalnummer, die man schnell ersetzen kann. Passt also gut auf euch auf. Wenn ihr manchmal ein Piepen, Rauschen oder irgendwelche anderen Töne wahrnehmt, erkennt es als Warnsignal und gönnt euch bewusste Auszeiten.
Jessica Bräuniger ist Entspannungspädagogin und Schlafcoach für Babys. Sie unterstützt Mütter und Familien auf dem Weg zu einem entspannten und stressfreien Alltag. Mehr Informationen über Jessica Bräuniger und ihre Arbeit finden Sie auf ihrer Website: https://www.happyfamily-kurse.de/.