„Eine nachhaltige Hörversorgung aller Kindern ist essentiell“
Je früher ein Hörverlust bei einem Menschen erkannt und behandelt wird, desto größer ist die positive Wirkung auf sein Leben. Die Hear the World Foundation unterstützt deshalb weltweit Hilfsprojekte zugunsten von Kindern mit Hörverlust, um ihnen eine altersgerechte Entwicklung zu ermöglichen.
Auf einen Blick
- Hilfsprojekte der Hear the World Foundation
- Extrem wichtig: Früherkennung und Hörversorgung bei Kindern
- Ganzheitlicher Ansatz für nachhaltige Hörversorgung
- Lebenslanges Hören ermöglichen
Joelle Pianzola, Direktorin der Hear the World Foundation, hat uns im Interview erzählt, wie Hilfsprojekte für gutes Hören weltweit funktionieren.
Frau Pianzola, Sie fördern mit Hear the World Foundation Kinder mit Hörverlust in Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen in ihrer altersgerechten Entwicklung. Wie sehen Ihre Hilfsprojekte aus?
Als gemeinnützige Stiftung fördern wir unsere Projektpartner, beispielsweise in Indien, Vietnam oder Mexiko, nicht nur finanziell, sondern unterstützen sie auch mit Wissen und Expertise bei der Umsetzung ihrer Hilfsprojekte. Dafür können wir auf ein breites internationales Netzwerk an Freiwilligen zurückgreifen, die Mitarbeitende der Sonova Gruppe sind. Die freiwilligen Helfer sind größtenteils in den Ländern der jeweiligen Gruppengesellschaften tätig, wo sie auch arbeiten.
Unser Ziel ist es, mit unseren Tätigkeiten eine nachhaltige soziale Wirkung zu erzielen. Das bedeutet, dass wir die Umsetzung von Projekten ermöglichen, die eine qualitative und langfristige Hörversorgung lokal aufbauen und gewährleisten, und deren Wirkung nachweisbar ist.
Die von uns geförderten Hilfsprojekte basieren auf einem ganzheitlichen Ansatz. Sie bestehen aus den Kernkomponenten der „Hearing Health Value Chain“. Dabei ist jeder einzelne Schritt wesentlich, um die Lebensqualität von Kindern mit Hörverlust zu erhöhen. Mit diesem Vorgehen eröffnen wir ihnen eine Welt, in der sie besser kommunizieren können und sozial integriert sind. Dafür arbeiten wir eng mit den lokalen Teams zusammen und stehen ihnen in Bezug auf Fachwissen, Gerätenutzung und prozessorientiertem Arbeiten beratend zur Seite.
Wie Sie gerade erwähnt haben, setzen Sie auf Programme, die auf einem ganzheitlichen Ansatz basieren, bestehend aus den Kernkomponenten der Hearing Health Value Chain. Können Sie uns diesen Ansatz näher erläutern?
Mit der „Hearing Health Value Chain“ – auf deutsch „Wertschöpfungskette im Bereich Hörgesundheit“ – wollen wir einen ganzheitlichen Ansatz für eine qualitativ hochstehende und nachhaltige Hörversorgung umsetzen. Das streben wir in unseren Projekten an. Wir unterstützen Aktivitäten rund um die Prävention und Identifikation von Hörverlust, die richtige Diagnose und Behandlung sowie eine gute und langfristige Nachversorgung. Dazu gehört auch die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften sowie die notwendige Infrastruktur mit den geeigneten diagnostischen Geräten.
Wer steht bei ihrer Arbeit im Mittelpunkt und welche Aspekte sind hier aus ihrer Sicht wesentlich?
Der klare Fokus unserer Arbeit liegt bei den Kindern. Je früher ein Hörverlust bei einem Menschen erkannt und behandelt wird, desto größer ist die positive Wirkung auf sein Leben. Außerdem ist die Aus- und Weiterbildung von Experten vor Ort von entscheidender Bedeutung. Deshalb stellen wir sicher, dass unser Engagement nicht nur vorübergehend hilft, sondern eine dauerhafte Wirkung entfaltet. Die Partner im jeweiligen Land sollen in die Lage versetzt werden, die Projektarbeit selbstständig fortzusetzen. Die Präventionsarbeit erfolgt vor allem in Schulen und bei den Familien selbst. Dort klären wir darüber auf, wodurch ein Hörverlust verursacht und wie er vermieden werden kann. Die Eltern spielen für den Hörerfolg der Kinder eine wesentliche Rolle. Denn nachdem eine Hörminderung erkannt und versorgt wurde, ist es wichtig dafür Sorge zu tragen, dass das betroffene Kind sein Hörgerät auch regelmäßig trägt. Die Erziehungsberechtigten müssen sich intensiv mit ihrem Kind beschäftigen, um dessen Kommunikationsfähigkeiten, die bis vor der Hörversorgung häufig wenig ausgeprägt waren, zu fördern. Auch die Begleitung des Kindes zur Sprachtherapie ist sehr wichtig. Die Eltern haben eine sehr große Verantwortung. Wir versuchen, ihnen dabei zu helfen, indem wir ihnen die wichtigsten Informationen mit auf den Weg geben.
Im Geschäftsjahr 2021/2022 haben Sie 16 Hilfsprojekte in 13 Ländern mit Hörtechnologie, finanziellen Mitteln und fachlicher Expertise gefördert – und das, trotz der Covid-19-Krise. Inwieweit hat die Pandemie Sie bei Ihren Hilfsprojekten beeinträchtigt?
Die Pandemie hatte gravierende Auswirkungen auf unsere Projekte. Viele Kindergärten und Schulen mussten geschlossen werden. Das sind genau die Orte, an denen wir normalerweise Hörscreenings durchführen. Zudem konnten viele Familien nicht mehr zu den Behandlungszentren reisen. Auch Gesundheitspersonal ist krankheitsbedingt länger ausgefallen.
In welchen Ländern waren die Hilfsprojekte besonders stark von der Pandemie beeinträchtigt? Und wie sind Sie damit umgegangen?
Leider sind gerade Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen noch stärker von der Corona-Pandemie betroffen als reichere Länder. Trotz der schwierigen Umstände setzen unsere Partner alles daran, die Projekte weiter fortzusetzen. Unser Projektpartner in Peru, zum Beispiel, hat umfragebasierte Hörscreenings entwickelt. Eltern haben dabei die Aufgabe, das Verhalten ihrer Kinder genau zu beobachten und festzuhalten, um einen potenziellen Hörverlust zu identifizieren. Dieser Remote-Ansatz war sehr erfolgreich und wird deswegen jetzt standardisiert angeboten.
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Sie haben Ihren Fokus in den letzten beiden Jahren verstärkt auf den Erfahrungsaustausch zwischen den Projektpartnern gelegt und konnten von gegenseitigen Lösungsansätzen sehr profitieren. Wie sah das konkret aus?
Unsere Programm-Managerinnen im Stiftungsteam arbeiten eng mit den Projektpartnern in Asien, Lateinamerika, Afrika, Europa und im Mittleren Osten zusammen. Sie haben die Aufgabe, unsere finanzielle und technologische Unterstützung vor Ort sicherzustellen. Dazu organisieren wir mit Hilfe unseres umfangreichen Freiwilligenprogramms mit Expertinnen und Experten regelmässige Trainings zu unterschiedlichen audiologischen Themen. Diese werden dann entsprechend den Bedürfnissen unserer Partner abgehalten.
Es ist uns auch sehr wichtig, den Austausch zwischen den verschiedenen Projektteams in den verschiedenen Ländern zu fördern. Trotz der vorhandenen regionalen Unterschiede stehen unsere Partner häufig vor ähnlichen Herausforderungen und können sich gut gegenseitig unterstützen. Bald wird es auch eine Online-Partnerplattform geben, die den Austausch von Dokumenten, Präsentationen und weiteren Informationen ermöglicht und systematisch fördert. Auch im Bereich Kommunikation gibt es einen engen Austausch, damit wir uns gegenseitig besser über Erfahrungen und Ergebnisse informieren.
Lassen sich daraus auch Best-Practices für Deutschland für eine noch bessere Hörgesundheit ableiten?
Für Personen, die von einem Hörverlust betroffen sind, ist eine nachhaltige Versorgung essenziell. Denn nur diese Kontinuität trägt dazu bei, lebenslanges Hören zu ermöglichen. Diese Nachhaltigkeit optimal zu gewährleisten, ist eine große Herausforderung bei unseren Projekten und natürlich auch ein wichtiges Thema in Deutschland und weltweit. Dabei spielt immer die Unterstützung und Beratung eines Hörakustikers eine entscheidende Rolle.
Frau Pianzola, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Mit dem Projekt „Hören ohne Grenzen“ unterstützen Hörakustiker Menschen mit einem schlechten Gehör in der Ukraine. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Beitrag „Grenzenlose Hörgeräteversorgung“.