Misophonie bei Kindern
Das Klappern von Besteck, das rhythmische Tippen auf einer Tastatur oder das leise Schmatzen beim Essen – Geräusche, die für viele kaum auffallen, können für manche Kinder mit Misophonie zur unerträglichen Belastung werden. Misophonie ist eine bislang wenig erforschte Sensibilität gegenüber bestimmten Klängen, die viele Fragen aufwirft.
Denn, was passiert, wenn diese Geräusche nicht nur stören, sondern Emotionen wie Wut oder Unwohlsein auslösen? Kinder, die an Misophonie leiden, stoßen oft auf Unverständnis – bei Gleichaltrigen, Lehrkräften und sogar in der eigenen Familie. In diesem Artikel beleuchten wir die Ursachen und ersten Anzeichen von Misophonie bei Kindern, gehen auf die emotionale Belastung ein und geben Einblicke in den Umgang mit einer Welt, die für Betroffene oft zu laut ist.
Was ist Misophonie?
Misophonie, wörtlich „Hass auf Geräusche“, beschreibt eine neurologische Reaktion, bei der bestimmte Klänge starke negative Emotionen wie Wut, Ekel oder Stress auslösen. Alltägliche Geräusche wie Kauen, Schlucken oder Tippen, die von anderen kaum bemerkt werden, stören Betroffene erheblich und machen das Hören unerträglich.
Beschrieben wurde Misophonie erstmals in den späten 1990er-Jahren von den Wissenschaftlern Pavel und Jastreboff. Allerdings hat sie, aufgrund der steigenden Anzahl an Betroffenen, erst in den letzten Jahren verstärkt wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Besonders betroffen sind dabei vor allem Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren.
Insbesondere der Alltag und die sozialen Beziehungen werden durch Misophonie erheblich beeinträchtigt. Anfangs versuchen viele Betroffene noch, auslösende Geräusche zu meiden, doch ohne Behandlung führt dies oft zum sozialen Rückzug. Forschende arbeiten derzeit an spezialisierten Ansätzen, um die Diagnose, die Behandlung und damit den Umgang zu verbessern.
Woran erkennt man Misophonie bei Kindern?
Die Symptomatiken von Misophonie variieren stark und lassen sich nicht einfach erkennen. Hier ist es für Eltern und das Umfeld besonders wichtig, das Kind aufmerksam zu beobachten. Nicht selten wird Misophonie mit anderen Verhaltensstörungen verwechselt. Dabei ist eine frühzeitige Diagnose entscheidend, um den Alltag des Kindes durch gezielte Maßnahmen und eine einfühlsame Unterstützung zu erleichtern.
Zu den typische Erkennungsmerkmalen von Misophonie bei Kindern gehören:
- Abdecken der Ohren, Tragen von Kopfhörern oder gezieltes Blockieren der Geräuschquelle
- Verlassen von Räumen oder das Meiden von Situationen, in denen Trigger-Geräusche auftreten könnten
- Gereiztheit, Wutausbrüche, Weinen, Ärger oder Unbehagen bei bestimmten Geräuschen
- Konflikte mit Familienmitgliedern oder Freunden, insbesondere wegen Trigger-Geräuschen
- Erhöhter Puls, Muskelanspannung, Schwitzen oder Zittern bei Konfrontation mit auslösenden Klängen
- Schwierigkeiten, sich in geräuschreichen Umgebungen zu fokussieren, etwa in der Schule
- Meiden gemeinsamer Mahlzeiten oder bestimmter Lebensmittel aufgrund der dabei entstehenden Geräusche
Die Liste lässt sich beliebig erweitern, doch sie gibt einen ersten Überblick, woran Sie sich bei Bedarf orientieren können.
Ursachen und Auswirkungen von Misophonie bei Kindern
Die Ursachen für Misophonie sind bis heute nicht vollständig geklärt, doch es wird eine Überempfindlichkeit in der Verbindung zwischen Hör- und Emotionszentren des Gehirns vermutet. Auch sollen genetische Faktoren oder traumatische Erlebnisse die Entstehung begünstigen.
Fakt ist: Misophonie beeinträchtigt neben den sozialen Beziehungen auch die emotionale und schulische Entwicklung von Kindern. Diese fühlen sich häufig gestresst, unverstanden oder überfordert, was sich wiederum langfristig negativ auf ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität auswirkt.
Gibt es denn trotz der bislang unzureichenden Forschungsergebnisse Behandlungsmöglichkeiten von Misophonie? Die gute Nachricht lautet: Ja, die gibt es.
Wie lässt sich Misophonie behandeln?
Eine gründliche Anamnese und anschließende Diagnose erfolgen durch Haus- oder Fachärzte, etwa aus der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Da es keine spezifische Heilung für Misophonie gibt, zielt eine Behandlung darauf ab, die Symptome zu mildern und Strategien im Umgang mit Trigger-Geräuschen zu vermitteln.
Dazu gehören:
- Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Kinder lernen, ihre Reaktionen auf auslösende Geräusche besser zu verstehen und zu regulieren. Dabei hilft die Umstrukturierung von Gedanken und Gefühlen, um die Wahrnehmung der Geräusche zu verändern.
- Achtsamkeitstraining: Methoden wie Meditation, Atemtechniken und progressive Muskelentspannung reduzieren Stress und unterstützen Kinder dabei, störende Geräusche weniger intensiv wahrzunehmen.
- Psychoedukation: Die Aufklärung von Kind und Familie über die Ursachen und Auswirkungen der Misophonie schafft Verständnis und ermöglicht ein besseres Miteinander.
Ebenso lassen sich bereits gute Ergebnisse mit der Tinnitus-Retraining-Therapie erzielen.
Ursprünglich von Dr. Pawel und Dr. Margaret Jastreboff entwickelt, kommen dabei spezielle Hörgeräte zum Einsatz, die kontinuierlich angenehme Geräusche erzeugen. Begleitend finden beratende Gespräche statt.
Auch der Einsatz von Tinnitus-Noisern zeigt Potenzial. Die Geräte geben ein leichtes Rauschen ab, um die Wahrnehmung störender Geräusche zu dämpfen. Sie helfen insbesondere bei gleichzeitigen Hörproblemen, indem sie die störenden Klänge in den Hintergrund drängen. Für alltägliche Situationen sind zudem Kopfhörer eine wirksame Option, um störende Umgebungsgeräusche auszublenden.
Verständnis und Akzeptanz sind bei Misophonie besonders wichtig
Der erste Schritt im Umgang mit Misophonie ist das Verständnis für die Reaktion auf bestimmte Geräusche. Kinder mit Misophonie empfinden ihre Reaktionen auf bestimmte Geräusche nicht als kontrollierbar. Es hilft, ihnen zu vermitteln, dass ihre Gefühle und Reaktionen valide sind, auch wenn andere die Geräusche als unbedeutend wahrnehmen. Aussagen wie „Stell dich nicht so an“ oder „Das kann doch nicht so schlimm sein“ sollten vermieden werden.
Ebenso hilft es, die Geräusche zu identifizieren, die die Misophonie auslösen. Tipp: Mit einem Tagebuch lassen sich Auslöser dokumentieren und Muster erkennen. Mit den Ergebnissen und Informationen kann man die Situation besser beim Facharzt oder der Beratungsstelle erläutern und es können gezieltere Maßnahmen ergriffen werden, die die Symptome lindern.
Schauen wir in Richtung Schulalltag, ist es elementar, dass Lehrer über die Überempfindlichkeit im Bilde stehen. Um eine ruhigere Umgebung zu schaffen, wäre ein Arbeitsplatz am Rand des Klassenzimmers ideal. Ebenso lässt sich hier das Tragen eines Gehörschutzes gut integrieren.
Über unseren praktischen und kostenlosen Suchservice können Sie HNO-Ärzte oder Hörakustiker in Ihrer Nähe finden. Diese informieren Sie gerne über mögliche Hörgeräte, die bei Misophonie eingesetzt werden können und beraten Sie umfassend über Tinnitus-Noiser sowie die Tinnitus-Retraining-Therapie.