„Mein Vorgesetzter nennt mich Schwanipedia“
Michael Schwaninger ist trotz seiner Hörminderung beruflich durchgestartet und die Karriereleiter immer weiter nach oben geklettert. Mittlerweile ist er CFO bei Merz Therapeutics (Merz Pharmaceuticals GmbH) und Vorstandsmitglied der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft e.V.
Auf einen Blick
- Gedächtnis und Augen – Ersatz für die Ohren
- Cochlea-Implantate – Wenn Hörgeräte nicht mehr ausreichen
- Offen und transparent mit der Hörminderung umgehen
Michael Schwaninger litt seit der Pubertät unter einer Hörminderung und ist mittlerweile völlig ertaubt. Obwohl es viele Jahre gedauert hat, bis seine Schwerhörigkeit richtig versorgt war, hat er ein gutes Abitur gemacht, seine Ausbildung zum Industriekaufmann mit 1,0 abgeschlossen und auch sein BWL-Studium überdurchschnittlich gut beendet. Bei dem Pharmaunternehmen Merz ist er seit mehr als 30 Jahren angestellt und die Karriereleiter mit Fleiß und Energie Schritt für Schritt nach oben geklettert. Heute ist er Chief Financial Officer (CFO) bei Merz Therapeutics (Merz Pharmaceuticals GmbH).
Herr Schwaninger, was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Heute weiß ich, dass meine Hörminderung bereits in der Pubertät begonnen hat. Allerdings ist damals weder mein familiäres Umfeld noch die Schule davon ausgegangen, dass meine durchwachsenen schulischen Leistungen in Französisch und Englisch auf eine Schwerhörigkeit zurückzuführen sind. Bei mir sind dann andere Fähigkeiten in den Vordergrund getreten. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis entwickelt. Während des Studiums habe ich im Hörsaal gesessen, aber nichts gehört. Ich habe mir Mitschriften besorgt und natürlich auch in Fachbüchern gelesen.
Dank meiner sehr guten Merkfähigkeit konnte ich den Stoff dann sehr schnell verinnerlichen und mir auch lange merken. Mein Langzeitgedächtnis und meine Augen waren damals der Ersatz für meine Ohren. Diese Fähigkeit habe ich auch heute noch – obwohl ich dank meiner Cochlea-Implantate (CI) seit vielen Jahren wieder gut höre. Mein Vorgesetzter nennt mich sogar „Schwanipedia“ weil ich ein wandelndes Lexikon bin, dessen Wissen er sehr gerne anzapft.
Ihr Erfolg ist aber sicherlich nicht nur auf Ihr sehr gutes Gedächtnis zurückzuführen?
Nein, natürlich nicht. Es gehört auch sehr viel Fleiß und Ehrgeiz dazu. Mein Studium war ein duales Studium. Ich habe damals schon bei Merz gearbeitet – 40 Stunden in der Woche. Parallel habe ich dann studiert. Das war schon sehr hart. Aber am Ende hatte ich nicht nur mein Diplom in der Tasche, sondern auch eine abgeschlossene Berufsausbildung und fünf Jahre Berufserfahrung. Das haben mit 27 Jahren nur sehr wenige vorzuweisen. Diese Kombination war eine sehr gute Basis für meinen weiteren beruflichen Werdegang bei Merz.
Michael Schwaninger (52) ist verheiratet, hat eine elfjährige Tochter sowie einen Hund und lebt mit seiner Familie in Bad Nauheim. Er ist leidenschaftlicher Fußballfan, sein Herz schlägt für Borussia Mönchengladbach. In seiner Freizeit geht er gerne ins Kino und unternimmt viel mit seiner Familie. Möglich sind all diese Aktivitäten auch, weil er auf beiden Ohren CIs trägt und daher wieder hören kann. Um anderen Betroffenen zu helfen, hat er den Cochlear Implant Verband Hessen-Rhein-Main e.V. gründet und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft e.V.
Wie ging es nach dem Studium weiter?
Ich hatte sehr viele verschiedene Rollen inne im Laufe der Jahre bei Merz. Im Grunde war ich immer sehr projektgetrieben, so dass ich alle drei bis vier Jahre eine neue spannende Aufgabe übernommen habe und mich somit weiterentwickeln konnte. Ich habe im Laufe der Jahre das Marketing & Vertriebs-, das Werks- und auch das Forschungscontrolling verantwortet und war einige Zeit für Merz in den USA. Als CFO Region EMEA (Europe, Middle East and Africa) bei der Merz Pharma GmbH & Co. KGaA war ich als Finanzchef unter anderem in der Schweiz und in Russland. Ich habe mich in all dieser Zeit vom Controlling-Spezialisten zum Generalisten im Bereich Finanzen entwickelt.
Seit März 2020 bin ich CFO Merz Therapeutics (Merz Pharmaceuticals GmbH). Während meiner Karriere hatte ich das große Glück, dass ich von Beginn sehr von meinem damaligen Vorgesetzten unterstützt wurde. Er hat mir das notwendige Vertrauen geschenkt und die Möglichkeit gegeben, mich weiterzuentwickeln trotz meiner Hörminderung. Wir haben gegenseitig sehr voneinander profitiert.
Welche Tipps können Sie anderen Menschen mit einer Hörminderung für das Berufsleben geben?
Offenheit und Transparenz sind das A und O. Auf keinen Fall sollten Menschen mit einer Hörminderung ihren Hörstatus verbergen. Es ist wichtig, sich mit allen Beteiligten – Vorgesetzten und Kollegen – zusammenzusetzen und seine eigenen Kommunikationsbedürfnisse offen darzulegen.
Nur dann können auch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit eine erfolgreiche Zusammenarbeit möglich ist – und davon profitieren letztendlich alle. Außerdem ist es ganz wichtig, nicht defizitorientiert zu denken und zu handeln, sondern chancenorientiert. Denn jeder Mensch hat seine Stärken und die gilt es besonders hervorzuheben. Das gilt auch – und vielleicht ganz besonders – für Menschen mit einer Hörminderung.
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Neben ihrer beruflichen Karriere sind Sie ehrenamtlich in der Selbsthilfe für den Cochlear Implant Verband Hessen – Rhein-Main e.V. und die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e.V. tätig. Was machen Sie dort genau?
Ich bin bereits seit 2001 in der Selbsthilfe tätig. Als ich vor vielen Jahren aufgrund meiner nicht richtig versorgten Hörminderung große Probleme hatte, wurde mir in einer Selbsthilfegruppe geholfen. Dort habe ich zum ersten Mal von Cochlea Implantaten gehört und das war letztendlich das Licht am Ende des Tunnels. Im Oktober 2001 wurde mir dann das erste CI implantiert, nach drei Monaten habe ich viel besser gehört. Seitdem will ich einfach gerne selbst etwas zurückgeben.
Als Mitglied des Vorstandes der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft e.V. (DCIG) vertrete ich die Belange der CI-Träger aus den Regionen Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland und unterstütze bei Projekten primär in der Öffentlichkeitsarbeit. Unser Ziel ist es, Cochlea Implantate so bekannt zu machen, wie den Herzschrittmacher. Der Cochlear Implant Verband Hessen-Rhein-Main e.V. ist ein Regionalverband der DCIG, das Herzstück des Verbandes sind die mittlerweile 25 Selbsthilfegruppen, die sich über die Zeit etabliert haben. Wir arbeiten zusammen mit den implantierenden Kliniken in unserem Einzugsgebiet, den lokalen Rehabilitationseinrichtungen und den Hörakustikern, um die Akzeptanz des Cochlea Implantats zu verbessern. Auf meinem Blog www.ohrenseite.info habe ich über die Jahre über 300 Erfahrungsberichte von Menschen zusammengetragen, die mit Cochlea Implantaten versorgt sind.
Herr Schwaninger, was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich arbeite in der Industrie und hier gibt es etwa alle 20 Jahre einen Paradigmenwechsel. Genau das wünsche ich mir jetzt auch beim CI – weitere technologische Fortschritte für die Versorgung von Menschen mit einer Hörminderung. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass Hörschädigungen in der Bevölkerung eine größere Akzeptanz erlangen.
Auch Jana Verheyen leidet unter einer Hörminderung. Sie ist beruflich richtig durchgestartet und als Audio Coach in Hamburg erfolgreich. Mehr zu ihrer Person erfahren Sie in unserem Artikel „Erfolgreiche Powerfrau trotz Hörminderung“.