Hörgeräte mit KI: Neue Maßstäbe für optimales Verstehen
Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert derzeit die Leistungsfähigkeit von Hörgeräten. Was intelligente Hörgeräte mit KI im Alltag und im Berufsleben inzwischen können, zeigen uns Trends der EUHA 2024.
Auf dem Internationalen Hörakustiker-Kongress der Europäischen Union der Hörakustiker e.V. (EUHA) in Hannover gab es auch 2024 wieder viel zu sehen und zu entdecken. Bereits zum 68. Mal fanden vom 16.-18. Oktober diesen Jahres der Internationale EUHA-Kongress und die Industrieausstellung statt. Parallel zu Fachvorträgen, Tutorials und Future Friday Keynotes bot insbesondere die begleitende Industrieausstellung viele spannende Neuheiten und Innovationen. Wie schon in 2023 gehörten klassische audiologische Features, die Gespräche im Störlärm und damit auch das Sprachverstehen verbessern, sowie Bluetooth LE Audio mit Auracast zu den Trendthemen der EUHA 2024. Darüber hinaus standen neue Designs, wiederaufladbare Hörgeräte ohne Batterien und Weiterentwicklungen in Sachen Spontanakzeptanz oder Höranstrengung im Mittelpunkt der EUHA. Doch ein Thema war noch präsenter: Künstliche Intelligenz (KI). Sie revolutioniert derzeit die Leistungsfähigkeit von Hörgeräten.
Neue Potenziale bei Hörgeräten mit KI
KI ist eigentlich nichts neues in der Hörgeräte-Branche, sind Hörgeräte mit KI doch schon seit 20 Jahren auf dem Markt. Warum trendet KI also jetzt? Ganz einfach: Durch ChatGPT, Midjourney und Co. wird KI in der Gesellschaft stärker wahrgenommen und im Alltag von Jedermann nutzbar. Durch die vielen Vorteile wächst die Gewissheit, dass an dieser Technologie kein Weg mehr vorbeiführt. Das gilt auch für die Hörakustik. Und das spürte man auch in vielen Vorträgen, Gesprächen und Features verschiedenster Hörgeräte-Hersteller.
Viele der auf der Industrieausstellung der EUHA 2024 gezeigten Beispiele der Hörgeräte-Hersteller deuten darauf hin, dass es in Zukunft möglich werden kann, dass Hörgeräte sich ganz automatisch an verschiedene Situationen anpassen. Dies wäre für die Nutzer, die sich ein müheloses Hören mithilfe einer kaum merklichen Technik wünschen, eine wichtige Weiterentwicklung.
Gut Hören, auch wenn es laut ist
Möglich ist dieses verbesserte Sprachverstehen durch Deep Neural Networks (DNN), auch bekannt als tiefe neuronale Netze. Sie ahmen die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nach. Ein neuronales Netz ist eine Reihe von Algorithmen, inspiriert vom menschlichen Gehirn. Ziel ist es, dessen Aktivität zu simulieren – und zwar insbesondere die Erkennung von Mustern und die Übertragung von Informationen zwischen den verschiedenen Schichten neuronaler Verbindungen. Ein DNN besteht aus mindestens zwei solcher Schichten. So lassen sich Daten auf komplexe Weise mithilfe fortgeschrittener mathematischer Modelle verarbeiten.
Die Vorteile dieser Technologie zeigen sich besonders in Situationen, die normalerweise für Menschen mit Hörgeräten herausfordernd sind, wie Gruppengespräche oder stark besuchte Restaurants. Ähnlich wie Equalizer und Fader an einem Mischpult können Hörgeräte mit KI durch DNN Lautstärke, Höhen, Mitten und Bässe einzelner Spuren anheben oder senken. So wird aus Sprache mit Störgeräuschen eine klare, gut hörbare Sprache. Doch DNN verbessern nicht nur die Spracherkennung und das Sprachverstehen, indem sie Geräusche besser als je zuvor unterdrücken. Sie sind auch in der Lage, simultan zu übersetzen, verschiedene Sprecher zu erkennen und ihre Stimmen voneinander zu trennen sowie Emotionen zu erkennen. Und das alles bei gleichbleibender oder sogar längerer Batterielaufzeit, mit weniger Verzerrungen sowie weniger Rückkopplungen.
Beeindruckend!
Hörgeräte mit KI erfassen bemerkenswerte 192.000 Datenpunkte pro Sekunde während der Signalverarbeitung und haben eine Reaktionsfähigkeit von etwa 1.000 Anpassungen pro Sekunde in jeder Situation – mit dieser großartigen Leistung setzen sie neue Maßstäbe für optimales Verstehen.
Vielfältige Neuheiten: KI trifft Design
Etliche Hörgeräte-Hersteller haben auf der Industrieausstellung der EUHA 2024 wieder neue Funktionen mit KI und insbesondere die DNN-Technologie präsentiert. Einige der modernen Hörgeräte glänzen mit gleich zwei Chips, von denen einer die Basis-Funktionen des Hörgeräts verantwortet, während der andere ein Deep Neural Network enthält, um schwierige Hörsituationen zu verarbeiten. Mit beiden arbeitet das Hörgerät so exakt, dass man für das Sprachverstehen quasi keine Richtmikrofone mehr benötigt.
Modelle anderer Hörgeräte-Hersteller bieten Technologie zur Verbesserung von Gruppengesprächen in lauten Umgebungen kombiniert mit einem neuen Design. Das sportliche Im-Ohr-Modell und das elegante Hinter-dem-Ohr-Modell sollen vor allem die jüngere Zielgruppe ansprechen.
Apropos Design: Auf der EUHA ließen sich moderne Otoplastiken aus Titan bewundern, die es in vielen Farben nicht mehr nur glänzend, sondern auch in matter Optik oder mit Zirkonia-Edelsteinen in Form von personalisiertem Hörschmuck gibt. Einige von ihnen überzeugen nicht nur durch ihr Aussehen, sondern auch durch ihre Form. So gibt es inzwischen Otoplastiken, die durch eine gezielte Aussparung vom Kiefergelenk entkoppelt werden und so wesentlich angenehmer zu tragen sind.
„Ja!“ zum Hörakustiker
Das Potenzial, das KI in Hörgeräten bei der Signalverarbeitung hat, wurde auf dem EUHA-Kongress sichtbar. Vielerorts lautete der Appell jedoch, KI als Ergänzung und nicht etwa als Ersatz für den regelmäßigen, wichtigen Besuch beim Hörakustiker anzusehen. Denn KI ist weder sozial kompetent noch empathisch, entscheidet lediglich auf Grundlage statistischer Wahrscheinlichkeiten, kann keine Feinjustierung am Hörgerät vornehmen oder sich ändernde Präferenzen der Hörgeräte-Träger erkennen und sich daran anpassen. Sie ist nur so innovativ wie das Modell, mit dem sie trainiert wurde – und kann keine Regeln brechen, wenn es die Situation erfordert. Vielmehr kann KI in einem gewissen Maß Lücken in der Hörgeräteversorgung aufdecken – und den Hörakustiker in denjenigen Situationen vertreten, in welchen er keinen direkten Einfluss auf den Endkunden hat. Die professionelle, individuelle Anpassung eines Hörsystems durch einen Hörakustiker oder eine Hörakustikerin bleibt wesentlich für den Hörerfolg.