Unterschiedliche Einschränkungen des Hörvermögens verlangen unterschiedliche Therapien
Schwerhörigkeit oder Hörverlust (lat. Hypakusis) sind umgangssprachliche Oberbegriffe für verschiedene Ausprägungen einer Hörstörung. Eine gängige Klassifizierung der verschiedenen Arten von Schwerhörigkeit grenzt diese im akustischen Wahrnehmungssystem lokal ein. Abhängig von der Verortung des Hörproblems unterscheidet man Schwerhörigkeit danach, ob Schall nicht richtig empfunden, wahrgenommen oder weitergeleitet werden kann. Daher bezeichnet man die häufigsten Arten von Hörverlust als Schallempfindungsschwerhörigkeit, Schwallwahrnehmungsschwerhörigkeit und Schallleitungsschwerhörigkeit.
1. Schallleitungsschwerhörigkeit
Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit (auch Schallübertragungsschwerhörigkeit) wird der über das Trommelfell ankommende Schall vom Mittelohr nicht richtig an das Innenohr weitergeleitet. Die Schallsignale werden leiser gehört, aber ihre Qualität, z.B. die Verständlichkeit gesprochener Worte, bleibt weitgehend erhalten. Betroffene haben oft das Gefühl, als hätten sie Watte in den Ohren. Dabei werden alle Tonhöhen gleich schlecht gehört.
Ursachen
Möglichen Ursachen einer akuten Schallleitungsschwerhörigkeit sind Fremdkörper im Ohr, ein Ohrenschmalzpropfen oder verstärkte Ohrenschmalzbildung im äußeren Gehörgang; Wasser im äußeren Gehörgang, das beim Schwimmen oder Baden eingedrungen ist; akute Mittelohrentzündung; Verletzung des Trommelfells; infektionsbedingte Schwellung im Gehörgang.
Eine chronische Schalleitungsschwerhörigkeit kann auftreten infolge einer chronischen Mittelohrentzündung, einer Verknöcherung im Übergang zwischen Steigbügel und Innenohr (Otosklerose), einer Verengung im Gehörgang durch Narben oder Entzündungen (Stenose), eines übermäßigen Knochenwachstums im Gehörgang (Exostose), eines Tumors im Gehörgang oder im Mittelohr sowie aufgrund angeborener Fehlbildungen des äußeren oder mittleren Ohres.
Therapie
Die Therapie einer Schalleitungsschwerhörigkeit ist abhängig von ihrer Ursache. Wird sie z.B. von einem Ohrenschmalzpfropfen verursacht, kann ein HNO-Arzt diesen entfernen und damit auch die Schalleitungsschwerhörigkeit beheben. Liegt ein Paukenergusses vor, kann ein kleiner Schnitt im Trommelfell ausreichen, damit die Flüssigkeit abfließt. Bei einer Otosklerose hingegen müssen die geschädigten Gehörknöchel operativ ersetzt werden.
Häufig kommen bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit Hörgeräte zum Einsatz, um das Hörvermögen wiederherzustellen. Ist ein ausreichendes Hören und Verstehen auch mit Hörgeräten nicht mehr möglich, werden Cochlea-Implantate (CI) eingesetzt. Im Gegensatz zu einem Hörgerät, welches den Schall verstärkt, überbrückt das CI den geschädigten, nicht mehr funktionierenden Teil des Innenohrs. Es kann Menschen mit einem schweren bis hochgradigen Hörverlust bis hin zur Taubheit helfen, besser oder überhaupt wieder zu hören.
Sind Außen- oder Mittelohr geschädigt, ist der Gehörgang irritiert, geschädigt oder fehlt ganz, können Knochenleitungsimplantate helfen. Diese leiten mit kleinen Vibrationen am Schädelknochen Schallsignale von außen direkt an das Innenohr.
Besonderer Fall einer Schalleitungsschwerhörigkeit: Atresie
Bei einer sogenannte auralen Atresie ist der Gehörgang durch Knochen- und Hautgewebe verschlossen. Selbst in diesem besonderen Fall einer Schalleitungsschwerhörigkeit können moderne Hörsysteme helfen: Eine Versorgungsoption ist das Mittelohrimplantat. Es besteht aus einem Implantat und einem (externen) Audioprozessor. Zentraler Bestandteil ist ein winziger Schwingungskörper, der an verschiedenen Gehörknöchelchen angebracht werden kann. Dieser künstliche Schwingungskörper bringt die Knöchelchen zum Schwingen, um den Hörverlust des Innenohrs auszugleichen.
Eine andere Therapieform bei auraler Atresie ist das Tragen eines (nicht implantierten) Knochenleitungshörgerätes. Es überträgt Schallwellen in Form von Vibrationen auf den Knochen. So gelangen die Informationen durch Knochenleitung zum Innenohr, wo sie verarbeitet und an das Gehirn weitergeleitet werden. Dadurch entsteht ein natürlicher Höreindruck. Für erwachsene Patienten kommen auch Knochenleitungsimplantate in Frage.
2. Schallempfindungsschwerhörigkeit
Bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit handelt es sich um eine Innenohrschwerhörigkeit. Das bedeutet, Teile des Innenohrs sind geschädigt oder in ihrer Funktion beeinträchtigt. Die Schallsignale werden dann zwar vom Außenohr empfangen, aber verändert empfunden, da vor allem die hohen Töne, aber auch andere Frequenzen zunehmend verloren gehen. Betroffene nehmen ihr Umfeld klanglich meist „dumpfer“ wahr und verstehen die Sprache ihre Mitmenschen akustisch nicht mehr so gut.
Ursachen
Zu den möglichen Ursachen einer akuten Schallempfindungsschwerhörigkeit gehören unter anderem Hörsturz , Knalltrauma , Innenohr- und Infektionserkrankungen, Riss der Membran zwischen Mittel- und Innenohr, hohe Lärmbelastung jenseits der Schmerzgrenze, Morbus Menière (eine Erkrankung des Innenohres mit Schwindelanfällen), extreme Stress-Situationen; auch können Nebenwirkung bestimmter Medikamente eine akute Schallempfindungsschwerhörigkeit verursachen.
Eine chronische Schallempfindungsschwerhörigkeit kann unter anderem hervorgerufen werden durch eine tägliche, hohe Lärmbelastung, ohne dass Gehörschutz getragen wird (z.B. bei der Arbeit, in der Diskothek oder durch zu laute Musik über MP3-Player); Erkrankung der Hörnerven; Morbus Menière; Stoffwechselerkrankungen; Arteriosklerose; Fehlbildungen oder Störungen des Innenohrs.
Therapie
Eine häufig verordnete Therapieform bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit sind Hörgeräte. Vermögen diese den Hörverlust nicht auszugleichen, kann ein Cochlea-Implantat (CI) helfen. Im Gegensatz zu einem Hörgerät, welches den Schall verstärkt, überbrückt das CI den geschädigten, nicht mehr funktionierenden Teil des Innenohrs. Patienten mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit, deren Haarsinneszellen in der Cochlea, der Hörschnecke im Innenohr, fehlen oder beschädigt sind, können mit einem CI wieder hören und aktiv am Leben teilnehmen.
Vermeidbar
die Lärmschwerhörigkeit
Eine häufige auftretende, aber durchaus vermeidbare Form der Schallempfindungsschwerhörigkeit ist die Lärmschwerhörigkeit. Sie entsteht durch eine lärmbedingte Zerstörung bzw. Beschädigung der Haarzellen im Innenohr.
Bei jeder Druckänderung (durch eine Schallwelle) werden die Haarzellen verbogen. Sie versuchen sich gegen den Druck wieder aufzurichten. Sind sie über einen längeren Zeitraum einer hohen Schallintensität (d.h. hohen Lautstärke) ausgesetzt, reicht die über den Blutkreislauf gewonnene Energie der Haarzellen nicht mehr aus, um sich aufzurichten und dem Druck standzuhalten. In der Folge ermüden die Haarzellen. Das ist tückisch, da Betroffene häufig den Eindruck gewinnen, sich mit der Zeit an den Lärm gewöhnt zu haben, da dieser von den ermüdeten Haarzellen nicht mehr als so stark wie vor ihrer Ermüdung wahrgenommen wird.
Tatsächlich werden die Haarzellen aber nach langer Ermüdung beschädigt und können zugrunde gehen. Daher sind nach hoher Lärmexposition auch immer längere Pausen (der Stille oder zumindest deutlich reduzierter Geräuschbelastung) vonnöten, damit sich die beanspruchten Haarzellen erholen können. Dabei gilt: Je höher der Lärm, desto länger sollte die Erholungsphase für die Haarzellen – also die Lärmpause – sein.
Ohne Erholung sterben als erstes die empfindlichsten Haarzellen ab. Das sind jene, die für die Wahrnehmung der leisesten Töne zuständig sind. Zunächst ist daher nur das Feingehör beeinträchtigt. Durch jede neue lärmbedingte Überlastung nehmen jedoch weitere Zellen Schaden – die Schwerhörigkeit nimmt zu. Dieser Prozess ist irreversibel: Zerstörte Haarzellen können sich nicht mehr regenerieren und werden nicht durch neue ersetzt.
Daher ist Lärmprävention in jedem Lebensalter wichtig.
Presbyakusis
Schallempfindungsschwerhörigkeit ab dem mittleren Lebensalter
Eine der häufigsten Formen des Schallempfindungsschwerhörigkeit – und eine der häufigsten Formen der Schwerhörigkeit überhaupt – ist die sogenannte Altersschwerhörigkeit. Der Fachbegriff dafür lautet Presbyakusis. Bei ihr handelt es sich um eine langsam fortschreitende Schallempfindungsschwerhörigkeit ab dem mittleren Lebensalter.
Grund für eine Presbyakusis sind vor allem altersbedingte Verschleißerscheinungen der Haarzellen des Innenohres. Aber der Alterungsprozess macht auch vor dem Hörnerv und dem Hörzentrum nicht halt. Umweltfaktoren wie ggf. mehrjährige Lärmbelastung sowie körperliche Faktoren (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erbliche Veranlagung oder Nikotinkonsum) können den Verschleißprozess beschleunigen.
Die Presbyakusis betrifft beide Ohren. Für eine Schallempfindungsschwerhörigkeit typisch, werden meist die hohen Töne als erstes schlechter gehört, vor allem wenn sich der Betroffene in einer lauten Umgebung befindet.
Reguläre Hörtests ab 50 – rechtzeitiges Handeln ist entscheidend!
Das meist schleichende Einsetzen einer Presbyakusis lässt diese von Betroffenen und ihrem Umfeld häufig für lange Zeit (bisweilen über mehrere Jahre hinweg) unbemerkt bleiben. In dieser Zeit besteht die Gefahr, das Hören regelrecht zu verlernen. Die für das Hörverständnis relevanten Bereiche im Gehirn werden nicht mehr mit Informationen versorgt. Aktive Gehirnareale werden inaktiv und verlieren ihre Fähigkeiten. Kognitiver Leistungsverfall ist die Folge, was einer Demenz Vorschub leisten kann.
Um diesem Prozess frühestmöglich Einhalt zu gebieten, empfehlen Experten, spätestens ab dem 50. Lebensjahr jährliche Hörtests durchzuführen. HNO-Ärzte, Hörakustiker und Hörsystemeindustrie fordern, Hörtests ab dem 50. Lebensjahr als reguläre Vorsorgeuntersuchung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen.
Mischform: Der kombinierte Hörverlust
Einige Schwerhörige leiden unter einer Mischform der Schalleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit. Bei diesem sogenannten kombinierten Hörverlust ist sowohl die Schallleitung als auch das Schallempfinden gestört. Leichte Formen des kombinierten Hörverlusts können medikamentös behandelt werden. Bei einem mittelschweren Hörverlust werden häufig Hörgeräte eingesetzt. In sehr schweren Fällen ist ein Knochenleitungsimplantat notwendig.
Knochenleitungsimplantate sind Hörsysteme, die mithilfe kleiner Vibrationen am Schädelknochen Schallsignale von außen direkt an das Innenohr weiterleiten. Bei vielen Schwerhörigen, die an einer Schallleitungsschwerhörigkeit oder einem kombiniertem Hörverlust leiden, liegt der Grund für die Schwerhörigkeit in einer Schädigung des Außen- oder Mittelohrs. In anderen Fällen ist der Gehörgang irritiert, geschädigt oder fehlt ganz. Die Betroffenen leiden an Schwerhörigkeit, weil der Schall in ihren Ohren nicht ausreichend stark an das Innenohr weitergeleitet werden kann. Knochenleitungsimplantate eignen sich deshalb für Patienten, deren Innenohr intakt ist, deren Außen- oder Mittelohr jedoch keine Schallübertragung zulässt. Das unterscheidet sie von Cochlea-Implantaten, die das Hören bei hochgradiger Innenohrschwerhörigkeit ermöglichen
3. Schallwahrnehmungsschwerhörigkeit
Bei einer Schallwahrnehmungsschwerhörigkeit werden die eingehenden Tonsignale vom Ohr korrekt aufgenommen und vom Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet. Das Problem tritt erst im Gehirn auf, das die Signale nicht richtig identifizieren und interpretieren kann. So hört der Betroffene zwar die Töne, kann sie aber nicht zuordnen. Dies wird auch als auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) bezeichnet.
Mögliche Ursachen für AVWS sind Gehirnblutungen, Fehlbildungen, ein Schädel-Hirn-Trauma, Gehirnentzündung oder Schlaganfall. Bei einem plötzlichen Hörverlust auf einem Ohr kann aber auch ein Hörsturz in Kombination mit Tinnitus die Ursache sein. Eine AVWS gilt als nicht heilbar und wird mit einer Kombination aus logopädischer Therapie und – bei entsprechender Indikation – dem Einsatz von Hörgeräten behandelt.
Bei Erwachsenen wird die Prävalenz von AVWS auf zehn bis zwanzig Prozent geschätzt. AVWS tritt bei etwa zwei bis drei Prozent aller Kinder auf, wobei Jungen doppelt so häufig betroffen sind wie Mädchen. Mehr Informationen zu AVWS bei Kindern sowie hilfreiche Tipps finden Sie hier.