„Ich wollte wieder alles hören können“
Nico, 30, ist Hörbotschafter der Kampagne „Das Leben gehört gehört!“. Der engagierte Arzt und Träger eines Cochlea-Implantats erzählt uns seine Geschichte.
Nico ist 30, Arzt für Allgemeinmedizin, Familienvater und Host des Podcasts „Sprechzimmer“, in dem er sich mit Persönlichkeiten aus der Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft austauscht. Nach einem Hörsturz entgeht er knapp der einseitigen Taubheit. Einige Jahre trägt Nico Hörgeräte, bis er sich für ein Cochlea- Implantat entscheidet.
Warum engagieren Sie sich als Hörbotschafter für die Kampagne „Das Leben gehört gehört!“ ?
Mir ist es wichtig aufzuklären, dass – auch, wenn man auf einem Ohr (noch) gut hört – ein Cochlea-Implantat die Lebensqualität ungeheuer steigert, indem es das Leben einfacher und besser macht. Ich glaube, ich bin ein ziemlich gutes Beispiel dafür. Ich hatte schon in der Kindheit durch meinen Vater, der an „Morbus Menière“ (eine Krankheit des Innenohres mit Drehschwindel) litt, Berührungspunkte damit, was schlechtes Hören mit Menschen machen kann. Und auch, wie beeinträchtigend „falsche“ Höreindrücke im sozialen Miteinander sein können. In meinem Job als Allgemeinmediziner bekomme ich hautnah mit, was das für gesundheitliche und soziale Auswirkungen hat: von sozialer Distanzierung oder psychischen Problemen bis hin zu frühzeitiger Demenz.
Seit wann haben Sie Probleme mit dem Hören?
Meine Hörgeschichte begann mit 15, als ich ohne klaren Auslöser einen schweren, einseitigen Hörsturz auf dem rechten Ohr hatte. Nach vielen erfolglosen Therapieversuchen habe ich zunächst versucht, erstmal so klarzukommen.
Warum haben Sie die Hörgeräte zunächst nicht getragen?
Hörgeräte zu tragen, wäre mir als Teenie total unangenehm gewesen; war ja auch im Gegensatz zur Brille, zumindest damals, nicht wirklich ein Modeobjekt. Kurz: so ein „Ding“ will man als Fünfzehnjähriger nicht an seinem Kopf tragen. Mein Argument war lange: „…ist ja „nur“ eine Seite betroffen. Trotzdem war die Höreinschränkung enorm, ich war und bin praktisch einseitig taub. Und da gab´s zugegeben schon gravierende Einschnitte in meinem Alltag und auch im sozialen Miteinander. Ich habe viele Strategien entwickelt, um trotz der Einschränkung alles mitzubekommen: Ich habe z.B. immer genau drauf geachtet, mich in der Schule, an der Uni oder im Restaurant gut hinzusetzen oder rechts von Gruppen zu sitzen oder zu laufen. Trotzdem war´s oft voll unangenehm zu hören: „Hallo, ich habe dich gerade drei Mal was gefragt!“ und noch nicht mal mitbekommen zu haben, dass es einen Kommunikationsversuch gab. Ich trug ja nichts, was schnell ersichtlich machte, dass ich eine Einschränkung habe.
Lebensqualität verbessern – dank Hörgerät
Haben Sie wie Nico das Gefühl, nicht mehr alles richtig zu verstehen? Das ist kein Grund zur Panik. Moderne Hörgeräte sind heute so klein und im Ohr versteckt, dass sie kaum noch auffallen. Außerdem sind sie wahre Hightech-Wunder: Sie lassen sich via Bluetooth mit dem Smartphone koppeln und filtern in lauten Umgebungen Störgeräusche, damit Sie Unterhaltungen stressfrei folgen können.
Warum entschieden Sie sich für ein Cochlea-Implantat?
Es gab einfach zu viele Situationen, wo ich dann doch Probleme hatte, es Missverständnisse gab oder der Höreindruck nicht so war, wie ich das aus meiner Erinnerung kannte. Kurz: Ich wollte wieder alles hören können und nicht nur ein bisschen. Und eben auch als Arzt und im täglichen Miteinander ein gutes Vorbild sein, indem ich vorlebe, dass es kein Problem ist, irgendeine Einschränkung zu haben. Und gerade im Bereich Hörsysteme hat die Technik in den letzten zehn bis 20 Jahren Quantensprünge gemacht. Ich habe dann begonnen zu recherchieren, mich ausführlich vom HNO-Arzt beraten zu lassen, verschiedene Systeme miteinander verglichen und mich dann für die Operation und ein Cochlea-Implantat entschieden.
Sind Ihre Erwartungen an das Cochlea-Implantat erfüllt worden?
Ich hatte nie den Anspruch: Ich lass mich operieren und am nächsten Tag ist alles wie früher. Ich wusste, das wird – trotz sehr guter Technik – ein Prozess sein. Bestimmtes musste ich auch wieder neu lernen. Mein Gehirn hatte sich daran gewöhnt, einseitig praktisch keine Signale zum Verarbeiten zu bekommen. Es musste nach zehn Jahren Taubheit die neuen Signale erstmal verarbeiten sowie zuzuordnen lernen und mit den Höreindrücken des gesunden Ohres in Einklang bringen.
Wie hat sich die Operation des Cochlea Implantats auf Ihre Lebensqualität ausgewirkt?
Einen Monat nach der Operation wurde das erste Mal der sogenannte Hauptprozessor angeschaltet. Und von da war es, gemeinsam mit meinem Hörakustiker, ein stufenweises Herantasten: Hier mal eine Einstellung verfeinert, da Frequenzen kalibriert, dort mit Technik kombiniert, die ich eh im Alltag nutze, wie mein Implantat mit Bluetooth ans Handy zu koppeln. Dazu gab es auch noch Apps, die trainieren, einzelne Worte wieder besser zu verstehen oder Silben besser zu unterscheiden. Resümee: Viel größere Lebensqualität! Ich verstehe auch in Gruppen oder mit Störgeräuschen wieder alles und kann viel einfacher kommunizieren. Für mich war die Entscheidung goldrichtig.
Einer Ihrer Leitsprüche ist, gutes Hören ist keine Frage des Alters, sondern der Einstellung. Was hat es damit auf sich?
Spätestens ab dem 60. Lebensjahr lässt bei jedem Menschen das Gehör nach, das ist total normal; bei dem einen schwächer, bei anderen stärker. Manchmal gibt´s auch eine genetische Vorbelastung oder eine Erkrankung. Was auch immer: Ich bemerke in meinem Job und auch im Alltag, dass es Menschen schwer fällt zuzugeben, dass sie ein Hörproblem haben und sich daraufhin testen oder untersuchen lassen. Ich möchte da von Herzen mit gutem Beispiel, auch als Multiplikator, vorangehen, darüber reden und eine Öffentlichkeit schaffen. Ich trage mein Implantat bewusst gut sichtbar, um zu zeigen, dass es nichts gibt, wofür man sich schämen muss. Ganz im Gegenteil.
Bleibt eine Hörminderung unversorgt, kann das gesundheitliche und soziale Folgen haben wie beschleunigte Demenz, sinkende Vitalität oder zunehmende Isolation: Hörgeräte bewahren vor den gesundheitlichen und sozialen Einschränkungen und steigern die Lebensqualität.