Hilfe, mein Teenager will auf ein Konzert
Oftmals haben Besucher eines Konzertes nicht nur eine Menge Spaß, hinterher haben sie auch nicht selten den Eindruck, dass ihr Hörvermögen etwas beeinträchtigt wurde. Laute Musik ist der Grund dafür.
Der Lärmpegel bei einem Rockkonzert kann bis zu 120 Dezibel (dB) betragen. Das liegt weit über dem normalen Pegel von 85 bis 90 dB, dem die meisten Menschen beispielsweise in der Stadt ausgesetzt sind.
Eva Keil-Becker, Hörakustikmeisterin, Pädakustikerin und EUHA-Vizepäsidentin, hat uns im Interview über die Folgen von zu lauter Musik aufgeklärt und erzählt, wie man sein Gehör schützen kann.
Auf einen Blick
- Permanente Hörschädigung durch zu laute Musik auf Konzert/-en
- Gehör mit Kapselgehörschutz oder maßgefertigtem Gehörschutz schützen
- Frühzeitig für Thema Hörgesundheit sensibilisieren
Frau Keil-Becker, mit welchen Folgen müssen Jugendliche rechnen, wenn Sie Ihr Gehör auf einem Konzert zu lauter Musik aussetzen?
Lässt man das Gehör bei zu lauter Musik ungeschützt, hat man zuerst eine temporäre Hörschwellenverschiebung. Geht man oft auf ein Konzert oder überreizt das Ohr öfter, führt das zu einer permanenten Hörschwellenverschiebung. Dann hat man ein Problem – und das schon in jungen Jahren.
Temporäre Hörschwellenverschiebung
Eine temporäre Hörschwellenverschiebung sorgt für eine vorübergehende Herabsetzung des Hörvermögens. Dieses Phänomen tritt oft nach einer hohen Lärmbelastung auf. Menschen mit vorübergehender Hörschwellenverschiebung erleben auch oft temporären Tinnitus. Es kann Stunden, aber auch Tage dauern, bis sich das Hörvermögen wieder erholt hat.
Wie sieht das Problem denn konkret aus?
Bei einer permanenten Hörschwellenverschiebung werden die äußeren Haarsinneszellen im Innenohr geschädigt. Sie sind dann langfristig kaputt, das lässt sich auch operativ nicht wieder beheben. Daher ist es so wichtig, die Ohren entsprechend zu schützen.
Wie können Teenager ihre Ohren bei einem Konzert schützen?
Wir empfehlen den Jugendlichen einen Gehörschutz zu tragen, wenn sie auf ein Konzert gehen oder anderweitig laute Musik hören. Es gibt Standard-Gehörschutz, wie beispielsweise einen Kapselgehörschutz, oder maßangefertigten Gehörschutz.
Insbesondere bei Kindern bis zwölf Jahren empfehlen wir einen Kapselschutz. Diese speziellen Kopfhörer können Sie relativ günstig einkaufen. Ein maßangefertigter Gehörschutz macht bei kleinen Kindern noch keinen Sinn, denn die Ohren wachsen sehr schnell. Kinder sollten übrigens einen solchen Gehörschutz auch tragen, wenn sie laute Musikinstrumente spielen, wie beispielsweise Schlagzeug oder Geige.
Ab einem Alter von 13 oder 14 Jahren können Jugendliche einen maßangefertigten Gehörschutz nutzen. Dabei wird speziell auf die individuellen Bedürfnisse geachtet, ob man zum Beispiel oft auf ein Konzert geht oder ein lautes Instrument spielt. Davon hängt dann der Filter des Gehörschutzes ab. Es gibt Kapselgehörschutz oder auch maßangefertigten Gehörschutz mit ganz unterschiedlichen Filterstärken. Das fängt bei neun Dezibel an und geht bis zu 40 Dezibel.
Insgesamt ist die Dämmung mittlerweile so gut, dass sie wirklich breitbandig dämmt. Das heißt, die Musik wird nicht verzerrt, so wie das vielleicht früher einmal war. Es wird alles nur ein bisschen leiser. Dadurch hat man mit Hörschutz ein perfektes Hörerlebnis, wenn man beispielsweise auf einem Konzert ist.
Wie funktionierten die Anpassung und Anfertigung eines Gehörschutzes?
Zunächst einmal schauen wir mit einem Otoskop in das Ohr. Das ist eigentlich sehr spannend. Ich sage unsere kleinen Kunden immer „Wir machen einen Flug durch das Ohr.“ Dabei gehen wir mit einem Trichter ins Ohr. Das Kind und auch die Eltern sehen dann, ob im äußeren Gehörgang alles in Ordnung ist. Voraussetzung dafür ist, dass das Ohr frei von Ohrenschmalz ist.
Anschließend nehmen wir eine Ohrabformung. Mit einem Material, das aus zwei Komponenten besteht, ein bisschen so wie Knete. Dieses wird gemischt und dann vorsichtig mit einer Spritze in den Gehörgang gegeben. Durch die Körperwärme härtet es aus. Nach ein paar Minuten ist die Ohrabformung fertig. Aus dieser Negativabformung wird dann im Labor der Gehörschutz individuell angefertigt. Das dauert in der Regel etwa fünf Arbeitstage.
Anschließend kann der Kunde den fertigen Gehörschutz abholen. Dabei wird eine genaue Wertprüfung gemacht und mit einer Sonde gemessen, wieviel Dezibel damit gedämmt wird. Das wird dann auch entsprechend dokumentiert.
Jedes Ohr ist einzigartig
Die Ohrabformung ist ganz individuell, genauso wie ein Fingerabdruck. Bei jedem Menschen ist der Verlauf des Gehörgangs anders. Für einen Gehörschutz muss die Abformung relativ lang sein. Denn der Gehörgang ist etwa zweieinhalb Zentimeter lang und S-förmig. Ein guter Gehörschutz ist nur dann gegeben, wenn man auch die zweite Krümmung mit abgeformt hat.
Wie hoch sind die Kosten für so einen individuellen Gehörschutz?
Die Kosten sind sehr unterschiedlich. In unserem Hörakustikerfachgeschäft gibt es einen Gehörschutz pro Paar ab etwa 70 Euro bis hin zu 165 Euro, inklusive Abformung und Dämmprüfung.
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Können Sie einen Tipp geben, wo man sich am besten postiert, wenn man ein Konzert besucht?
Es gibt bestimmte Vorgaben für die Lautstärke, die bei einem Konzert eingehalten werden müssen. Normalerweise halten sich Veranstalter auch daran. Wenn man mal ein Stündchen an der Box steht, ist das für unsere Ohren normalerweise überhaupt gar kein Problem. Generell sollte man auf seinen Körper und seine eigene Wahrnehmung hören, dann weiß man in der Regel, wann es Zeit ist, Abstand von zu lauter Musik zu nehmen oder den Gehörschutz einzusetzen.
Spielt ein Jugendlicher zum Beispiel Schlagzeug und übt täglich drei Stunden, dann hat man bereits innerhalb kürzester Zeit eine permanente Hörschwellenverschiebung. Deshalb empfehle ich, schon mit einem passenden Gehörschutz ein Konzert aufzusuchen und diesen auch immer zu tragen, wenn man ein lautes Instrument spielt, wie ein Schlagzeug oder eine Geige. Auch Berufsmusiker tragen deshalb oft einen Hörschutz, denn gerade sie brauchen sehr gute Ohren – ein Leben lang.
60/60-Regel
Hörakustiker empfehlen die sogenannte 60/60-Regel. Dies bedeutet, dass man die Lautstärke nicht bis zum Anschlag dreht, sondern nur auf maximal 60 Prozent. Und dies auch nur für 60 Minuten. Anschließend brauchen die Ohren eine Pause.
Was können Sie Teenagern sonst noch mit auf den Weg geben?
Wer nicht sehen kann, hat die Dinge verloren. Wer nicht hören kann, hat den Menschen verloren.‘ Wir leben zwar in einer stark visualisierten Welt, dennoch sollten wir uns dieses Zitat von Immanuel Kant vor Augen führen: Denn es ist ganz wichtig bewusst hinzuhören, auch die Zwischentöne – und auch einmal zwischen den Zeilen zu lesen. Mit der Stimme allein kann man so viel ausdrücken. Man merkt, wenn jemand ironisch ist oder ob er das ehrlich meint. Da sollten wir alle nochmal etwas sensibler werden.
Es ist sehr wichtig, dass man sein Gehör regelmäßig testen lässt. Und damit kann man auch schon als Kind oder Jugendlicher anfangen. Je früher man für das Thema sensibilisiert wird, umso besser. Denn das Ohr ist das einzige Sinnesorgan, das immer „wach“ ist – auch wenn wir schlafen.
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