Ein Musiker, der durch Knochenleitung hört
Markus Zoitl baut und stimmt Orgeln. Seine Ohren sind sein wichtigstes Handwerkszeug. Als er einen plötzlichen Hörverlust mit Tinnitus erlitt, stand seine Existenz auf dem Spiel. Lesen Sie, wie er heute mit dem Schädelknochen hört.
Musik hat Markus Zoitl schon von klein auf fasziniert und begleitet. Schon früh stand für ihn fest, dass Musik und Klang auch beruflich im Mittelpunkt stehen. Mit 16 Jahren begann der begeisterte Klavierspieler eine Ausbildung zum Orgelbauer. Später wagte er den Schritt in die Selbständigkeit. Überall, wo es Orgeln zu restaurieren oder zu intonieren galt, war er fortan gefragt, in Europa, China und Australien. Als freischaffender Intonateur realisierte er Restaurierungen und Neubauten. Heute lebt und arbeitet Markus mit seiner Familie schon viele Jahre in Dresden. Deutschland ist „eines der besten Länder der Welt für den Orgelbau“, sagt er.
Hörverlust und Tinnitus
Ohne Vorankündigung erwachte Markus Zoitl eines Morgens mit einem Gefühl wie Watte im linken Ohr. Sein ausgezeichnetes Gehör hatte sich plötzlich auf der linken Seite deutlich verschlechtert, begleitet von einem unangenehm lauten Dauerton. Der HNO-Arzt diagnostizierte eine Schallleitungs-Schwerhörigkeit kombiniert mit einem Tinnitus und verordnete zuerst eine Cortisonbehandlung, da er eine Ohrenentzündung vermutete. Diese brachte allerdings nur kurzfristig Besserung. Als das Cortison abgesetzt wurde, kam sofort der Tinnitus zurück.
Die Ärzte an der Klinik Friedrichstadt in Dresden stellten schließlich fest, dass Markus Zoitl – wie übrigens auch Beethoven – an Otosklerose leidet, die bei ihm plötzlich und nicht, wie üblich, allmählich zur Schwerhörigkeit geführt hatte.
Was ist Otosklerose?
Otosklerose ist eine Krankheit des Mittel- und Innenohres. Oto ist die griechische Bezeichnung für Ohr. Als Sklerose bezeichnen Mediziner allgemein den Vorgang der Verhärtung von Organen oder Gewebe. Bei der Otosklerose handelt es sich um eine Verknöcherung der Gehörknöchelchen. Der Schall trifft zuerst auf das Trommelfell und wird dann im Mittelohr über die drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel ins Innenohr weitergeleitet. Bei der Otosklerose ist meist der Steigbügel verknöchert und nicht mehr beweglich: Es wird kein ausreichendes Signal an die Hörschnecke im Innenohr weitergegeben wird. Die Betroffenen haben einen Hörverlust aufgrund der Schallleitungs-Schwerhörigkeit. Die Hörminderung tritt anfangs oft einseitig auf, kann aber auf beide Ohren übergehen. Weitere mögliche Symptome sind Tinnitusgeräusche. Ein HNO-Arzt kann die Erkrankung diagnostizieren und Behandlungsmethoden, wie ein Hörimplantat, vorschlagen.
Mit einem Knochenleitungsimplantat hören
Zur Überbrückung erhielt der Familienvater zunächst ein Knochenleitungs-Hörsystem zum Aufkleben. Da bei einem Schallleitungshörverlust das Außen- oder Mittelohr geschädigt, können Schallwellen nicht mehr zum Innenohr gelangen. Ein Knochenleistungs-Hörsystem umgeht die geschädigten Teile des Ohrs, indem es Schallwellen in Form von Vibrationen direkt auf den Knochen überträgt. So gelangen die Informationen durch Knochenleitung zum Innenohr, wo sie verarbeitet und ans Gehirn weitergeleitet werden und es entsteht ein natürlicher Höreindruck.
Bei einem anklebbaren System, das sich beispielsweise auch für Kleinkinder eignet, wird der dünne Klebeadapter auf die Haut hinter Ihrem Ohr geklebt – dort, wo keine Haare wachsen. Der Audioprozessor wird mit einem simplen Klick auf dem Adapter angebracht. Die Mikrofone des Audioprozessors nehmen die Geräusche in Ihrem Umfeld auf. Diese werden in Vibrationen umgewandelt und über den Klebeadapter und den Knochen zum Innenohr weitergeleitet.
Markus freute sich über die deutliche Besserung, konnte sogar eine Orgel damit intonieren, doch die Sorgen um seine berufliche Existenz blieben. Seine Ärzte empfahlen ihm ein Knochenleitungsimplantat, das operativ direkt im Schädelknochen verankert wird.
Rund ein Jahr nach seinem plötzlich auftretenden Hörverlust unterzog sich der Intonateur deshalb einer kleinen Operation, bei der ihm ein Titanimplantat eingesetzt wurde. Nach der Einheilphase verlief die Aktivierung des externen Audioprozessors zufriedenstellend, doch schnell war Markus klar, dass seine Ansprüche weit höher lagen als die von durchschnittlichen Hörimplantat-Nutzern. Er muss die feinen Details des Orgelklangs hören, die Unterschiede der Orgelregister, die individuelle Klangatmosphäre einer Orgel und einer Kirche als Akustikraum. Die Anpassung der neuesten Audioprozessor-Generation fand daher auch nicht in der CI-Klinik statt, sondern klanggetreu im Dom zu Halle.
„Die CI-Fachleute der Herstellerfirma tüftelten mit mir direkt an beiden Orgeln stundenlang an der Feineinstellung. Sehr laute und leise Register müssen transparent und natürlich hörbar sein. Leise Pfeifen dürfen daher nicht verstärkt werden, laute Register dürfen nicht übersteuern, der Prozessor muss dabei ‚ruhig‘ bleiben. Und zwar von 20 Hz bis ca. 9000 Hz“, so der Orgelstimmer.
Wie können Tiere und Menschen mit den Knochen hören?
Nicht nur das Trommelfell, auch Knochen können Schall übertragen und weiterleiten. Deshalb können wir mit dem Schädelknochen hören. Genau das nutzen beispielsweise im Tierreich auch Elefanten. Die Rüsseltiere stampfen mit den Füßen, um Warn- und Paarungssignale von Artgenossen kilometerweit zu übertragen. Diese Vibrationen wandern durch den Boden, bevor sie über die Beine und Knochen bis in die Elefanten-Cochlea gelangen. Dieses Hören mit Knochenleitung gelingt über mehrere Kilometer hinweg.
Ganz ähnlich funktionieren Knochenleitungsimplantate oder -Hörgeräte. Sie eignen sich für jedes Alter. Für Kinder bringt ein einfaches Stirnband sehr gute Hörerfolge. Später ist – auch in noch sehr jungen Jahren – eine Implantation möglich. Und auch im Alter sind keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil: Die Erfahrungen zeigen, dass ältere Patienten vom Hören durch Knochenleitung deutlich profitieren.
So klingt Erfolg
Markus‘ Sorge um seine berufliche Karriere war nach dem Verlust des Hörvermögens auf dem linken Ohr groß gewesen. Wie würden seine Kunden auf das Implantat und sein Hören mit Knochenleitung reagieren? Mittlerweile hat der Wahl-Dresdner erfolgreich sieben Orgeln in verschiedenen Ländern intoniert.
„Wenn ein Maler mit Brille ein Bild malt, zweifelt niemand daran, dass er das kann. Bei Musikern mit Hörproblemen gibt es diese Zweifel sehr wohl“, erklärt er. „Ich konnte diese Vorbehalte ausräumen und zeigen, dass man trotz Hörverlust erfolgreich in einem Beruf arbeiten kann, für den ein gutes Gehör die Voraussetzung ist.“