Alles gehört, aber wenig verstanden

Alles gehört, aber wenig verstanden

Erich ist 74 Jahre und eine rheinische Frohnatur. Es dauerte etwas, bis er verstanden hat, dass Hören und Verstehen ein Unterschied ist. Warum? Das hat uns Erich als Botschafter der Kampagne „Das Leben gehört gehört!“ im Interview erzählt. .

Erich, Sie sind Hörbotschafter unserer Kampagne „Das Leben gehört gehört!“.  Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass Ihr Hörvermögen beeinträchtigt ist?

Wenn ich ehrlich bin: Viele Freunde und auch mein Sohn haben mich lange darauf aufmerksam gemacht, dass ich oft nachfragen musste oder vieles nicht oder falsch verstanden habe. Ich habe die Schuld dann gerne den anderen gegeben und ihnen gesagt, dass sie nuscheln oder zu leise reden. Das war irgendwie einfacher, als mir selbst einzugestehen, dass ich ein Thema habe. Rückblickend haben meine Hörprobleme schon vor über 20 Jahren begonnen, als ich noch bei Karstadt beschäftigt war. In Management-Meetings habe ich oft Dinge in der Runde nicht verstanden und den Leuten regelrecht von den Lippen abgelesen. Das war damals schon eine eher suboptimale Strategie.

Wie hat Ihre Schwerhörigkeit Ihr Privatleben beeinträchtigt?

Ich liebe das Leben, mit allem, was dazugehört – im besten Sinne. Rückblickend habe ich viel zu lange auf dem Bremspedal gestanden. Was ich mir nicht alles habe einfallen lassen, um mir nicht die Blöße zu geben. Wie viele Geburtstage, Feste und Anlässe ich verpasst habe, weil meine Hemmschwelle so groß war. Das tut schon fast weh! Ich habe mir teils wilde Ausreden einfallen lassen, um mich aus gesellschaftlichen Veranstaltungen zurückziehen zu können – oder nicht gehen zu müssen. Meine Frau hat dann immer gesagt: Ach, weißt Du, wenn Du keine Lust hast, dann bleiben wir zu Hause!

Wie ging es dann weiter?

Irgendwann habe ich dem nachhaltigen Drängen meiner damaligen Lebenspartnerin dann mal nachgegeben und bin zum Arzt gegangen, um dort einen Hörtest zu machen. Die gemeinsamen Fernsehabende haben damals auch unsere Beziehung sehr belastend, weil ich den Fernseher immer sehr laut machen musste, um überhaupt etwas zu verstehen. Mein Sohn hat sich auch oft die Ohren zugehalten, wenn er überraschend zu Besuch kam und die Kiste lief – das ist mir schon aufgefallen. Schön war die Erkenntnis aber trotzdem nicht, das muss ich schon zugeben.

Und wie war das so, der Hörtest und die Ergebnisse?

Der Hörtests war einfach und total unkompliziert – und aus meiner Sicht war danach auch immer noch klar: Ich brauche keine Hörgeräte. Der HNO-Arzt und das Ergebnis sagten aber das Gegenteil: Ich brauche ganz dringend welche. Wie die Ergebnisse damals waren, weiß ich nicht mehr genau. Aktuell höre ich links zu 40 Prozent, rechts 60 Prozent.

Und nach dem Hörtest haben Sie Ihre Hörminderung dann mit einem Hörgerät versorgen lassen?

Wenn man schlechte Augen hat, gehen alle zum Optiker und kaufen sich schöne Brillen. Hörgeräte zu tragen ist noch viel unauffälliger und es bietet so viel mehr. Diese kleinen Geräte sind randvoll mit High-Tech und können locker mit den Smartphones dieser Zeit mithalten. Das gibt es sogar schon ohne eigene Aufzahlungals gesetzlich Versicherter.

Mit der Kampagne „Das Leben gehört gehört! will der Bundesverband der Hörsysteme-Industrie (BVHI) das Bewusstsein für gutes Hören schärfen und darüber informieren, wie man seinen Hörsinn lange erhalten und im Bedarfsfall bestmöglich versorgen kann. Die Hörbotschafter unterstützten dabei. Die Mission: Menschen zu motivieren, ihr Gehör regelmäßig überprüfen und im Falle eines Hörverlustes rechtzeitig professionell versorgen zu lassen.

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis seit Sie Hörgeräte tragen?

Hören und Verstehen ist ein riesiger Unterschied. Ich habe früher vielleicht alles gehört. Aber verstanden habe ich noch lange nicht alles.

Hatten Sie einen Aha-Moment mit Ihren Hörgeräten?

Dinge wahrzunehmen, die ich schon fast verlernt hatte. Eine tolle Erfahrung! Und: Ich habe die Musik wiederentdeckt.

Wie können wir die Gesellschaft dazu ermutigen, offener über Hörgesundheit zu sprechen?

Es gab eine Zeit, in der selbst banale Gespräche eine Herausforderung für mich waren. Und als ich merkte, dass auch die Stimme meines Sohnes im Nebel des Unverständlichen verloren ging und unsere Verbindung zu verblassen schien, da schrillte etwas dann doch ziemlich laut in mir: meine inneren Alarmglocken. Und die waren Gott sei Dank lauter und größer als der Gedanke: ‚Schau mal, der ist schon so alt, wenn er Hörgeräte tragen muss.‘ Was für ein Blödsinn! Der viel smartere Gedanke ist doch: ‚Was hab ich einmal für ein krasses High-Tech-Gerät im/am Ohr! So klein und doch so groß. Mit dem Ding, was man kaum sehen kann, könnte ich die Flöhe husten hören, wenn ich wollte!‘ Aber viel wichtiger war: ich konnte meinen Sohn und meine Freunde wieder gut hören. Mit allen feinen Nuancen und Zwischentönen. Das ist toll – und wichtig.

Was raten Sie Menschen, die vielleicht zögern, sich Hilfe zu suchen?

Meine Botschaft an jeden da draußen: Lass dich nicht von Vorurteilen oder Ängsten abhalten, wenn es um deine Hörgesundheit geht. Hör auf deinen Körper und deine Sinne und sei bereit, Hilfe anzunehmen, wenn du sie brauchst. Das Leben ist zu kostbar, um es durch unbehandelten Hörverlust zu beeinträchtigen. Jeder verdient es, die Welt in ihrer vollen Klangpracht zu erleben. Also, nimm deine Hörgesundheit ernst und geh den ersten Schritt in ein Leben, das voll und ganz gehört wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

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