„Ich nehme aktiver am sozialen Leben teil“

„Ich nehme aktiver am sozialen Leben teil“

Christian (55) ist Kommunikationswissenschaftler, erfolgreicher Software-Designer, begeisterter Musiker und Familienvater. Er ging 40 Jahre lang mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit durchs Leben, bis er mit Anfang 50 zwei Cochlea-Implantate eingesetzt bekam. Der Hörbotschafter der Kampagne „Das Leben gehört gehört!“ hat uns seine Geschichte erzählt.

Chris – Hörbotschafter der Kampagne „Das Leben gehört gehört!“

Bis zu meinem siebten Lebensjahr konnte ich ganz normal hören. Nach einer Mandeloperation trat zunächst eine Innenohrschwerhörigkeit ein, die sich im Lauf der Jahre rapide verschlechterte. Ab dem Alter von elf Jahren musste ich Hörgeräte tragen, ab 15 war der Hörverlust schon bei mehr als 80 Prozent. Ich konnte erst ab einer Lautstärke von 100 bis 110 Dezibel etwas hören. Um es mal greifbar zu machen: Das ist wie im Metallica-Konzert, direkt vor der wummernden Box zu stehen. Ich fing erst an zu hören, als ich die Töne quasi auch gespürt habe.

Wie hat die Schwerhörigkeit Ihr Leben beeinträchtigt?

Kommunizieren war auch mit modernsten Hörgeräten schwierig, weil mein Gehör so stark geschädigt war. Ich habe zwar noch Geräusche gehört, aber keine Sprache mehr verstanden. Auch die damalige Technik, das ist ja jetzt auch schon über 40 Jahre her, konnte daran nicht viel ändern. Telefonieren? Ging nicht. Smalltalk so nebenbei? Praktisch unmöglich, selbst als ich das Lippenlesen gelernt habe, weil meine akustischen Wahrnehmungen immer weiter abnahmen. Gespräche in Gruppen oder in der Dunkelheit: von unmöglich bis richtig anstrengend. Ich musste mich beim Sprechen ja immer sehr auf mein Gegenüber fokussieren. Suchen Sie mal in der Menge denjenigen, der gerade den Mund aufmacht und versuchen dann rauszubekommen, mit wem derjenige gerade spricht und auch worüber. Das Gehirn läuft permanent auf Hochtouren. Ernsthaft: Das ist ein emotionaler Hochleistungssport. Und ein ständiges Abwägen zwischen dem Wunsch, dazuzugehören, aber keine Last zu sein.

Wie ging es dann weiter?

Wer sich selbst und andere nicht hört, verlernt auch peu à peu das Sprechen. Vor allem die Konsonanten S, T, P oder F bildete ich beim Sprechen nicht mehr aus. Auch und vor allem, weil ich mich selbst nicht mehr hörte. Wenn ich mich dann artikulierte, klang das für meine Umwelt irgendwie merkwürdig und deutlich und verwaschen.

Musik ist neben meiner Familie die Liebe meines Lebens. Irgendwann gab´s aber tatsächlich nur noch die Musik meiner Vergangenheit, also die Songs, die ich liebte, bevor ich mein Gehör fast komplett verlor. Und die bewahrte ich wie einen Schatz in meinem Kopf. Aber neue kamen natürlich nicht dazu. Wie auch?

Und wann kamen dann die Cochlea-Implantate ins Spiel?

Ich bin ja ein Nordlicht. Aber der Impuls für ein Cochlea-Implantat (CI) kam von einem Mann aus dem Süden: Günther Beckstein, bayerischer Politiker, den ich mit seinem Cochlea-Implantat in einer Talkshow gesehen habe. Der saß da in dieser Talkrunde, konnte alle hören und sich super artikulieren. All das wäre mir gar nicht möglich gewesen. Ich war schwer beeindruckt und wollte das für mich auch. Ab da habe ich tatsächlich noch zwölf Jahre mit mir gerungen, bis ich mich zum Einsatz eines Implantats entschieden habe. Ich hatte wahnsinnige Angst: vor der OP, vor dem „neuen Hören“, davor, dass es vielleicht doch nicht klappt – oder sich die Welt nicht so anhört, wie ich mir das in meinem Kopf vorgestellt  oder in Erinnerung hatte und, und, und. Das war ein richtig langer Prozess.

Was können Sie unseren Lesern über Ihre OP berichten und was macht das Implantat?

Die Implantat-OP war viel kürzer als ich dachte, nur 50 Minuten, und ist heute schon sowas wie ein Routine-Eingriff. Vereinfacht ausgedrückt, überbrückt und ersetzt das Implantat die Impulse beschädigter Haarzellen im Ohr, die dafür zuständig sind, die herein kommenden Schall-Informationen ans Gehirn weiterzuleiten. Sind die inneren Haarzellen abgestorben oder beschädigt, nutzt das lauteste Geräusch nichts. Das ist der Unterschied zu „normalen“ Hörgeräten, die Geräusche aufnehmen und verstärken. Bei mir hat das übrigens wunderbar geklappt: zwei Tage nach der OP habe ich wieder angefangen zu hören.

Mit der Kampagne „Das Leben gehört gehört! will der Bundesverband der Hörsysteme-Industrie (BVHI) das Bewusstsein für gutes Hören schärfen und darüber informieren, wie man seinen Hörsinn lange erhalten und im Bedarfsfall bestmöglich versorgen kann. Die Hörbotschafter unterstützten dabei. Die Mission: Menschen zu motivieren, ihr Gehör regelmäßig überprüfen und im Falle eines Hörverlustes rechtzeitig professionell versorgen zu lassen.

Was hat sich seit der OP verändert?

Kommunikation ist nicht mehr anstrengend, sondern macht richtig Spaß. Ich nehme einfach viel aktiver am sozialen Leben teil. Es ist so schön, wie es klingt: Das Verhältnis und die Liebe zu meiner Frau und meinen Söhnen ist noch tiefer geworden. Es ist einer anderen Innigkeit gewichen. Wenn wir in Gruppen zusammen unterwegs waren oder auf Partys, war ich immer auf meine Frau angewiesen. Telefonate mit Freunden, Ärzten, Versicherungen, da war sie mein Dolmetscher. Jetzt ist da Raum für anderes, weil sie nicht für mich mithören muss. Das ist ja auch für sie toll und anders. Das Schöne ist: wir unterhalten uns viel, viel mehr, auch mit meinen Söhnen. Als ob wir etwas nachholen wollten. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Und wie war es, als Sie wieder Musik hören konnten?

Ich habe mir lange, lange überlegt, welchen Song ich nach der Implantat-OP als erstes hören soll. Der wurde es: „Lullaby“ von The Cure. In dieser  Nacht habe ich meine ganze Jugend durchgehört. Und dann war ich natürlich angefixt, ich mache mittlerweile selbst leidenschaftlich Musik und gehe auf Konzerte, auch mit meinen Jungs. Ich sauge Geräusche auf wie einen Schwamm, sind sie auch noch so alltäglich: Regenprasseln, Wind, der durch die Baumkronen säuselt, die Tiere, die bei uns auf dem Land frühmorgens durch die Äcker und das Unterholz schleichen und knacken. Stille merkt man oft erst, wenn man sie hört.

Hatten Sie einen Aha-Moment mit Ihren CI?

Als ich meinen Sohn das erste Mal habe Klavier spielen hören, da bin ich in Tränen ausgebrochen.

Was raten Sie Menschen, die vielleicht zögern, sich Hilfe zu suchen?

Don’t give up. Wenn Sprache auch mit Hörgeräten nicht mehr verstanden wird: Habt keine Angst vor dem Hören mit einem Cochlea-Implantat. Das Hören damit ist besser, als ich es mir jemals erträumt hatte. Ich habe diesen Schritt keine Sekunde lang bereut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Den meisten Menschen, die unter einer Schwerhörigkeit leiden, kann mit Hörgeräten geholfen werden. Es gibt jedoch auch Patienten, die trotz leistungsstarker Hörsysteme nur sehr wenig verstehen. Ein Hörimplantat kann für sie eine Alternative zum Hörgerät sein. Erhalten Sie jetzt mehr über Hörimplantate.

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