Leben mit Schwerhörigkeit
Je schwerer der Grad der Schwerhörigkeit, umso herausfordernder gestalten sich die einfachen kommunikativen Dinge des Alltags. Jana Verheyen, Audio-Coach und selbst an Taubheit grenzend schwerhörig, berichtet für Sie, und erklärt, warum es sich lohnt, sich diesen Herausforderungen zu stellen.
Niemand gibt gerne zu, dass das Alter seine Spuren hinterlässt oder der Körper auch schon in jüngeren Jahren Unterstützung benötigt. Stellen Sie jedoch fest, dass Sie in Gesprächen immer häufiger nachfragen müssen oder bestimmte Geräusche nicht mehr sortieren können, sollten Sie handeln. Ein Hörtest kann erste Aufklärung bieten.
Wenn akustisch schwierige Situationen wiederholt gemieden und eine Schwerhörigkeit zu verbergen versucht wird, leiden nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihr privates und berufliches Umfeld. Missverständnisse und womöglich ein Rückzug der Betroffenen aus ihrem Lebensalltag können die Folge sein. Doch das muss nicht sein! Jana Verheyen, Audio-Coach und selbst hochgradig schwerhörig, berichtet für Sie, dass es zwar Kraft kostet, es aber möglich ist und sich lohnt, sich den Nebenwirkungen einer Schwerhörigkeit zu stellen und diese zu meistern.
„Das ist kein Selbstgänger – weder für mich, noch für mein Umfeld“
Frau Verheyen, Sie tragen selbst beidseitig Hörgeräte. Wie haben Sie die Zeit nach Ihrem Hörsturz erlebt?
Der Hörsturz an sich hat mich kaum beschäftigt, denn ich hatte nur auf einem Ohr leicht an Hörfähigkeit verloren. Zum Telefonieren habe ich einfach das andere Ohr genommen und in Gesprächen darauf geachtet, dass das nach wie vor gute Ohr näher dran war. Ich war zwanzig und hab mir darüber wenig Gedanken gemacht.
Irgendwann wurde klar, dass das nur der Anfang von einem stetig zunehmenden und vor allem beidseitigen Hörverlust war: Unterhaltungen wurden anstrengender, Telefonieren auch mit dem besseren Ohr schwieriger, Missverständnisse nahmen zu und bei Treffen in Gruppen wurde ich stiller und stiller, weil ich immer weniger verstanden habe, worum es ging.
Inzwischen bin ich Anfang Vierzig und an Taubheit grenzend schwerhörig. Telefonieren geht nicht mehr und Gruppengespräche finden für mich gefühlt in einer Fremdsprache statt. Wer sich mit mir unterhalten möchte, braucht meine volle Aufmerksamkeit und muss sich mir zuwenden – dann klappt die Kommunikation allerdings erstaunlich gut und flüssig, weil ich viele akustische Lücken gedanklich schließe.
Dieser schleichende Weg raus aus dem ehemals gut hörenden Leben hinein in einen Alltag, bei dem ich nur selten weiß, was um mich herum passiert bzw. gesprochen wird und jede noch so beiläufige Unterhaltung gedankliche Mitarbeit erfordert, war und ist für mich – mal mehr, mal weniger – wirklich steinig. Natürlich wachse ich an den Herausforderungen und habe ja auch einen Job, in dem ich andere Schwerhörige genau darin unterstütze. Doch je größer der Hörverlust, desto größer eben auch die Barrieren, die nur mit noch mehr Aufwand auf allen Seiten überwunden werden können. Das ist kein Selbstgänger – weder für mich, noch für mein Umfeld.
Unterstützung von Freunden und Familien ist die beste Hilfe
Sie haben sich dann beruflich komplett neu orientiert. Was hat Ihnen in dieser Zeit besonders geholfen?
Ich komme aus dem hochgradig kommunikativen Agenturleben. Als klar war, dass ich den zunehmenden Hörverlust nicht mehr kompensieren kann, habe ich umgesattelt und mir einen Beruf selber geschaffen, in dem meine Hörminderung ein Vorteil und kein Handicap ist: Als Audiotherapeutin (DSB) und systemischer Coach berate ich Schwerhörige, halte Vorträge, leite Selbsthilfe-Workshops und Workshops für Akustiker. Ich habe auch ein ganzheitliches Hörtraining entwickelt, das ich zur Unterstützung beim Anfreunden mit Hörminderung und Hörgeräten selber gerne gehabt hätte.
Geholfen hat mir dabei vor allem mein Umfeld, also meine Familie, Freunde und Partner, die mich sehr unterstützt haben. Auch wenn ich sehr früh beschlossen habe, an meiner Hörminderung zu wachsen, anstatt traurig in der Einsamkeit zu verschwinden, und das auch ziemlich konsequent durchgezogen habe, gibt es doch auch immer wieder Momente, in denen ich am liebsten aufgeben würde. Und genau dann ist mein Umfeld für mich da. Dafür bin ich sehr dankbar.
Erkennen, annehmen und danach handeln ist der Schlüssel
Die Kommunikation im Alltag wird mit steigendem Grad der Schwerhörigkeit schwieriger. Wie meistern Sie diese Herausforderung?
Entscheidend ist, der Realität ins Auge zu blicken! Erst wenn ich für mich akzeptiert habe, wo meine Grenzen zu dem jeweiligen Zeitpunkt liegen, kann ich mich aktiv auf die Suche nach Lösungen für konkrete Situationen begeben. Eine 100%-Lösung kommt selten vor, aber oft ist eine Teillösung schon deutlich besser als keine.
Entscheidend dabei ist, dass ich mir im Klaren darüber bin, dass der Austausch mit anderen und das Leben in der Gemeinschaft ein existenzielles Grundbedürfnis ist. Ganz wichtig ist es daher, dem Umfeld zu kommuniziere, was Sache ist, welche äußeren Bedingungen mir eine Unterhaltung erleichtern und wie sie mich unterstützen können. Wer nicht schwerhörig ist, weiß das alles oft nicht und freut sich, wie einfach eine flüssige Unterhaltung doch möglich ist, wenn ein paar Regeln beachtet werden. Manchmal drücke ich mich zugegebenermaßen davor, weil ich glaube, dass das in dem Moment nicht nötig sei – nur um hinterher festzustellen, dass ich doch wieder die Hälfte nicht verstanden und beim Gegenüber den Eindruck hinterlassen habe, ich sei irgendwie seltsam oder blöd.
Generell gilt, dass es auch im Interesse des Umfeldes ist, dass der Schwerhörige ihm erhalten bleibt und sich einbringt – das gilt für jeden Schwerhörigen, sonst wäre er ja nicht Teil der jeweiligen Gruppe! Wenn meine Freunde und Bekannten also für mich mithören oder etwas wiederholen müssen, tun sie das auch in ihrem eigenen Interesse. Mir und vielen meiner Klienten hilft diese Erkenntnis sehr, denn sie ermöglicht ein Auftreten auf Augenhöhe, anstatt immer unsicherer zu werden und sich klein zu machen.
Ganz wichtig ist außerdem, anzuerkennen, dass der Aufwand für die Kommunikation bei einem Schwerhörigen enorme zusätzliche Energie-Ressourcen benötigt, die an anderer Stelle merkbar fehlen. Wer schwerhörig ist, sollte sich daher sehr genau überlegen, wofür er seine Kräfte hergeben möchte und wo er an anderer Stelle bewusst und sinnvoll sparen kann. Sich zum Beispiel im Job für das Sprachverstehen komplett aufzureiben, um dann in der Freizeit zu müde für jeglichen sozialen Austausch zu sein, ist keine Lösung. Da sollte man stattdessen gucken, wie der Hör-Aufwand bei der Arbeit reduziert werden und welche Freundschaften man wie weiter pflegen kann.